Berliner Zeitung, 02.01.2023

Naschen in Asien: Der Baumkuchen ist Japans süßer Liebling

Baumkuchen gilt als Spezialität aus Deutschland – aber viel beliebter ist er heute in Japan. Die Geschichte dieser Liebe reicht über ein Jahrhundert zurück.
Felix Lill

Sicherlich kein Diätgebäck: Der klassische Baumkuchen, hier mit Schokoladenüberzug, hat es bis in die Herzen und Mägen der Japanerinnen und Japaner geschafft. 
Sicherlich kein Diätgebäck: Der klassische Baumkuchen, hier mit Schokoladenüberzug, hat es bis in die Herzen und Mägen der Japanerinnen und Japaner geschafft.
imago
Bei Lawson ist mal wieder Baumukuhen-Aktion. Der in Japan führende Betreiber von Convenience Stores, der an fast jeder Straßenkreuzung im Land einen Minisupermarkt unterhält, führt die Küchlein in den Regalen auf Augenhöhe – als wichtigsten Blickfang. Es gibt sie mit Earl-Grey-Flavour, als Matcha- oder Marmor-Cake, mit Bananen- und Schokoladennote. Kaffee- oder Honiggeschmack sind ebenso erhältlich, und natürlich der ganz trockene Klassiker. Ein großes Plakat verspricht, es sei quasi egal, was man wählt: „Das Ausmaß des guten Geschmacks ändert sich gar nicht!“
Wer regelmäßig eine der unzähligen Lawson-Filialen in Japan besucht, wird die verblüffende Vielfalt des traditionellen Gebäcks kaum noch bemerken. Schließlich ist „Baumukuhen“, so der japanisierte Name des deutschen Klassikers Baumkuchen, im ostasiatischen Land immer beliebt, zu jeder Jahreszeit, zu praktisch jedem Anlass. Als Snack kauft man ein Stückchen für sich selbst, zu Weihnachten verschenkt man einen ganzen Kuchen. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Baumukuhen sei ein ursprünglich japanisches Gebäck.
Baumkuchen im Prüfungsprogramm
Dabei weiß auch in Japan jeder, dass die Sache viel komplizierter ist. Ungefähr so viel gehört hier zur kulinarischen Allgemeinbildung: Auch wenn ähnliche Erzeugnisse zuvor aus Griechenland, Ungarn und Italien kamen, wurde der Baumkuchen vor Jahrhunderten in Deutschland erfunden. Dort, so erzählt man sich in Japan, gehöre der Baumkuchen oft zum Prüfungsprogramm für angehende Konditoren. Der aufwendige Backprozess, bei dem sich eine Spindel über einem Feuer dreht, auf die regelmäßig neue Teigschichten aufgetragen werden, braucht viel Zeit, Geduld und Finesse.

Der Teig darf nicht verbrennen, aber auch nicht runtertropfen. Es ist eine Technik, die vor gut einem Jahrhundert für ziemlich viel Bewunderung gesorgt haben muss. Die Geschichte des Baumkuchens in Japan beginnt nämlich in einem für Innovationen nicht gerade wohlwollenden Umfeld. Sie hat ihren Ursprung in den Kriegsgefangenschaften des Ersten Weltkriegs, als Japan und Deutschland keine Alliierten waren, sondern Feinde.
Der Deutsche Karl Juchheim, der 1886 in Kaub am Rhein zur Welt gekommen war, hatte in der deutschen Kolonie Tsingtao in China gelebt, wo er in einem Café gearbeitet und auch schon Baumkuchen gebacken hatte. Der Ausbruch des Krieges in Europa hatte aber auch für Juchheims Leben im fernen China schwere Folgen. Während Deutschland in seinen asiatischen Kolonialgebieten zurückgedrängt wurde, weitete Japan seinen Einfluss aus.
Der frisch verheiratete Juchheim geriet gegen Ende des Krieges in japanische Gefangenschaft. Dort aber erkannte man in den Gefängnisinsassen nicht bloß Arbeitskräfte für Steinbruch oder Bau, sondern war auch an deren Talenten interessiert. Bei einer Handelsmesse im südwestjapanischen Hiroshima sollten sie ihr Können unter Beweis stellen. Karl Juchheim machte es sich dort zur Aufgabe, die Japaner zum Staunen zu bringen. Einen perfekten Baumkuchen soll er gebacken haben.
Populär und fein zugleich
Bald darauf war Juchheim nicht nur ein freier Mann, sondern auch Unternehmer. Die meisten in die Freiheit entlassenen Deutschen zog es in die Heimat oder nach Tsingtao zurück. Juchheim aber eröffnete in Yokohama eine Konditorei, hatte mit seinem Geschäft auch schnell kommerziellen Erfolg. Als es durch das verheerende Kanto-Erdbeben 1923 zerstört wurde, gründete er bald ein weiteres in der für ihren Internationalismus bekannten Großstadt Kobe.
Dort wurde Karl Juchheim ein Markenname – und ist es bis heute. Der Gründer starb am Ende des Zweiten Weltkriegs, sein Betrieb aber hat überlebt und stellt weiterhin Baumkuchen her. In Japan gilt Juchheim als Edelmarke, aber konkurrenzlos ist der Betrieb schon lange nicht mehr. Und während das Gebäck in Deutschland zwar beliebt ist, aber eher als Besonderheit gilt, ist Baumukuhen in Japan beides: sowohl populär als auch fein.

Einerseits kann man einzeln in Klarsichtfolie verpackte kleine Baumkuchenstückchen als schnelle, billige Süßigkeit kaufen – quasi im selben Produktsegment wie Schokoriegel oder kleine Tütchen gesüßter Erdnüsse. Ein Stück Earl-Grey- oder Matcha-Baumkuchen kostet bei Lawson 139 Yen (rund einen Euro), bei Starbucks knapp doppelt so viel. Wer in Japan einen Baumkuchen will, muss nie lange suchen. Es gibt ihn wirklich überall.
Denn es gibt kaum jemanden, der oder die das Gebäck nicht mag. Deswegen sind Baumkuchen aber auch – wie in der Ursprungsregion eher der Fall – als hochpreisigere Delikatesse zu haben. Auf ganze Baumkuchen wird nicht selten als Aufmerksamkeit zurückgegriffen, wenn sich frisch verheiratete Hochzeitspaare für die Geschenke ihrer Bekannten bedanken wollen, indem sie ihrerseits etwas zurückschenken. Baumkuchen gelten hier als elegante Option.
Der Grund dürfte nicht allein im Geschmack liegen. Wohl noch mehr als in anderen Kulturen schätzt man in Japan aufwendige Herstellungsprozesse mit langer Tradition. „Monodzukuri“, das „Herstellen von Dingen“, gilt als wichtiger Wert an sich: das Nutzen der eigenen Hände, um etwas zu kreieren. Dies bezieht sich meist auf nichtautomatisierte Techniken des Handwerks, lässt sich aber auch kulinarisch denken. Schließlich geht es beim Backen nicht zuletzt um manuelles Geschick.





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