Anders als bei Japans Ministerpräsidenten, herrscht bei den Gouverneuren (vergleichbar mit deutschen Oberbürgermeistern oder regierenden Bürgermeistern) der japanischen Hauptstadt Tōkyō kein Kommen und Gehen. Hatte nämlich das gesamte Land seit 1947 in 52 Wahlperioden 33 Ministerpräsidenten, waren in bisher 20 Wahlperioden lediglich 9 Personen als Gouverneure von Tōkyō tätig, nämlich Yasui Seiichirō (1947 – 1959), Azuma Ryōtarō (1959 – 1967), Minobe Ryōkichi (1967 – 1979), Suzuki Shun’ichi (1979 – 1995), Aoshima Yukio (1995 – 1999), Ishihara Shintarō (1999 – 2012), Inose Naoki (2012 – 2013), Masuzoe Yōichi (2014 – 2016) und schließlich seit 2016 Koike Yuriko. Dennoch darf die japanische Hauptstadt nicht als Hort einfachen Regierens verstanden werden. Schon die Größe und Komplexität der zu verwaltenden Präfektur hat seine Tücken: Tōkyō ist mit einer Fläche von 2.194 Quadratkilometern kleiner als das Saarland und hat mit 14 Millionen mehr Einwohner als Belgien. Verwaltungsrechtlich und -technisch in die Stadt Tōkyō und 23 Sonderbezirke unterteilt, fällt die Richtlinienkompetenz der Exekutive mit ihrem Verwaltungsapparat dem jeweiligen Gouverneur der Präfektur (aktuell politisch korrekt: der Gouverneurin) zu.

Bisher nahmen im Parlament der Präfektur die Vertreter der 2017 gegründeten Tomin Fāsuto no Kai (Präfektur-Bürger „First“ – Vereinigung) 53 der 127 Sitze ein, gefolgt von je 23 der religiös-konservativen Togikai Kōmeitō (Präfekturparlament-Kōmeitō, Kōmeitō=Partei der sauberen Politik) und der zur auf nationaler Ebene regierenden Jiyū Minshutō (Liberaldemokratische Partei, LDP) gehörenden Tōkyō-Togikai Jiyū Minshutō (Liberaldemokratische Partei der Präfektur Tōkyō), 18 Kommunisten und weiteren Kleinparteien ein. Die Liberaldemokratin Koike Yuriko hatte seit Juli 2016 die Präfektur als Gouverneurin regiert. Doch darf man sich die resolute Politikerin nicht als LDP-treue Parteisoldatin vorstellen, war sie doch zuvor schon Mitglied in vier zur LDP konkurrierenden Parteien. Unter den Premierministern Koizumi Jun’ichirō und Abe Shinzō, beide LDP, war sie 2005 Umweltministerin und 2007 Verteidigungsministerin. Nachdem sie 2016 Tōkyōs Gouverneurin wurde, rief sie im Januar 2017 die Tomin Fāsuto no Kai (Tōkyō „First“-Vereinigung), ins Leben und beendete damit ihre Mitgliedschaft in der LDP. Sodann setzte sie eins drauf und gründete im Oktober des gleichen Jahres kurz vor der Ankündigung von Neuwahlen durch Premierminister Abe eine Partei auf nationaler Ebene, die Kibō no Tō (Partei der Hoffnung).

Mit ihrer entschlossenen Haltung schockierte Frau Koike nicht nur ihre frühere Partei, die LDP, sondern schien deren Mitglieder davon zu überzeugen, sie bei ihrer Wiederwahl zur Gouverneurin zu unterstützen. Tatsächlich holte sie am 5. Juli 2020 satte 59,7 Prozent der Wählerstimmen und stellte die übrigen 22 Kandidaten mit ihren kläglichen Ergebnissen zwischen unter 0,5 Prozent und 13,8 Prozent in den Schatten.

Offensichtlich zog ihr konservatives Profil die Bevölkerungsmehrheit der Hauptstadtregion an. Fraglich ist allerdings inwieweit Koike weiterhin ambitioniert ist, auf Japans nationaler Ebene Politik zu gestalten. Könnte sie Abe beerben? Könnte sie einer Partei vorstehen, welche die Führung der LDP ersetzt? Könnte sie gerade in Zeiten weltpolitischer Neuentwicklungen eine japanische Konstante, ein Fels in der Brandung werden? Die nächsten Monate werden spannend!

Thomas Weyrauch, Publizist





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