Das asiatische Berlin boomt: Die Künste Asiens mischen sich seit Langem ins lebendige Berliner Amalgam der Kreativität. Vor zwei Jahren regten die vietnamesischen Freunde unseres Vereins, der Berliner Literarischen Aktion, deshalb an, dafür eine passende Bühne zu schaffen und diesen genreübergreifenden Phänomenen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen – der Berlin Asia Arts Club entstand, um an der moving poets Novilla regelmäßig asiatische Berliner:innen und ihre Künste zu präsentieren. Auf Betreiben des Berlin Asia Arts Club wurde ein Festival geboren, welches – lokal und international zugleich – dieser lebendigen Berliner Szene und ihren spezifischen künstlerischen Themen und Aspekten mit all ihren Potenzialen eine passende Bühne bot: das BERLIN ASIA ARTS FESTIVAL. Mehr als achtzig asiatische Künstler:innen aus Berlin waren aktiv an diesem Festival beteiligt, welches vom 15. September bis zum 8. Oktober 2023 stadtweit, aber vor allem in der moving poets Novilla am Kaisersteg stattfand – Workshops, Lesungen, Filmscreenings, Panels, Performances und Konzerte inklusive einer Kunstausstellung mit Malerei, Grafik, Skulpturen und Installationen. Das dreiwöchige Programm wurde gemeinschaftlich durch die Berliner Kurator:innen hang Hoang, Yimeng Wu und Dr. Dang-Lanh Hoang und ihre Freunde entworfen – Konzepte, Ideen und Vorschläge kamen von den asiatischen Berliner:innen und ihren Freunden selbst. So war es das übergreifende Konzept des Festivals, die Verflechtungen und Diskurse der lokalen asienstämmigen und asienbezogenen Kulturszenen der in unserer Stadt einflussreichen, aber oft exotisierten Künstler:innen und Künste des Fernen Ostens darzustellen. Während sich vor allem die jüngeren von ihnen in den letzten Jahren verstärkt in künstlerischen Initiativen zusammengeschlossen, untereinander vernetzt haben und zunehmend sichtbarer werden, war es Ziel des Festivals, diese Künstler:innen und das interessierte Berliner Publikum zueinander zu bringen.

Den Auftakt am Vorabend des Festivals bildete die Vernissage Berlin Asia Arts starts, die unsere Ausstellung Present Moments – Berlin-Asian Fine Arts in Anwesenheit der sieben beteiligten Künstler:innen eröffnete. Ergänzt wurde der Abend durch ein mitreißendes asiatisch-europäisches Konzert von Sonny Thet und Cathrin Pfeifer. In das Programm des Berlin Asia Arts Festivals starteten wir an einem ereignisreichen Nachmittag mit koreanischer Trommelzeremonie, indonesischem Schattenspiel, japanischen Comics, vietnamesischen Essen und Berlin-japanischer Literatur. Die literarische Reihe wurde am Folgetag mit Gülnisa Erdal und ihrer Lesung aus der deutschen Fassung ihres Romans „Banus Erlösung” über das Schicksal der Uiguren fortgesetzt: Ein bewegender und dank Übersetzer Prof. Andreas Guder und der Dolmetscherin Susanne Becker-Gonnella auch horizonterweiternder Beitrag chinesischsprachiger Gegenwartsliteratur aus Berlin.

Zwar konnten nach dem ersten Workshop des Festivals Chinesische Tuschmalerei eine praktische Einführung noch nicht alle Anwesenden so gut malen wie Leiterin Lili Yuan, jedoch konnten alle Teilnehmenden in den drei Stunden viel lernen. Der Zusammenhang zwischen klassischer chinesischer Malerei, Poesie und Musik wurde am Abend im Konzert deutlich: Die Berliner Musikerin Ruirui Ye spielte epische Stücke mit dem wunderbaren Klang der chinesischen Wölbbrettzither und die Malerin Lili Yuan schuf dazu ein Bild – live vor den Augen der Zuschauenden – dazu wurde chinesische Poesie gelesen, die über eintausend Jahre alt ist.

Die erste Veranstaltung im wunderbaren Weißenseer C*Space fand mitder ZEIT-Autorin  Angela Köckritz statt, die bei Katja Hellkötter zu Gast war. Der chinesische Tee und das senegalesische Essen waren ein Genuss, die Lesung und das Gespräch waren die reine „Freude“ (so auch der Titel des Buches aus dem gelesen wurde).

Tags darauf ging es zu Klassik & Literatur in den Taiwan-Kultursaal am Gendarmenmarkt, zu einem Abend mit Yung-Shan Tsou und dem Schmetterlingsquartett. Dass unter den über 100 Besuchern auch der Taipeh-Gesandte Prof. Shieh nebst Gattin sowie der Vize-Wirtschaftsminister Taiwans zugegen waren, zeigt, wie groß das Interesse an diesem Kooperationsprojekt war. Lesung und Konzert Waren intensiv und kamen sehr gut an: Anschließend stand das Publikum noch lange angeregt zusammen und der eine oder andere Kontakt zwischen den Kulturen wurde geknüpft.

Es folgte ein Tag, der ganz der indonesischen Kunst und Kultur gewidmet war – im Tempelhofer Haus der indonesischen Kulturen Berlin. Im gefüllten Saal verfolgten ca. 120 Zuschauer:innen Musik und Tanz, Lesung und Präsentation. Der indonesische Botschafter S.E. Oegroseno sprach zur Begrüßung, auch seine Frau und der Kulturattaché waren zu Gast. Die Plätze im Rumah Budaya reichten nicht aus, bis ins Foyer standen schließlich Besucher:innen – und als der abschließende Saman-Tanz der Frauen den Saal mit Energie und Rhythmus erfüllte, wurde der Jubel groß. Abends folgte das Konzert von Latent Sonorities: Der kosmische Sound des indonesischen Gamelan ließ sich hervorragend mit der Berliner Ambient-Musik verbinden. Improvisationen von Dea Karina und Hany Tea von Soydivision Berlin sowie Tusa Montes von den Philippinen und Morgan Sully, aus den USA nach Berlin eingewandert und Mastermind der Gruppe: Kern des musikalischen Materials waren Samples, die er von den Sounds der originalen Gamelan-Instrumente aus dem Bestand des Hasdes der Indonesischen Kulturen aufgenommen hatte.

Zum Abschluss der zweiten Festivalwoche gab es im Novillagarten einen lebendigen Workshop und ein bezauberndes Konzert mit dem Berliner Experten für indische Rhythmen Ravi Srinivasan. Und am Abend trafen sich die Dichter Yang Lian und Jan Wagner und sprachen über Poesie und Politik, Übersetzung und Verbindungen – natürlich lasen sie auch aus ihren Gedichten: Berliner Lyrik von internationalem Rang.

Der Workshop Tasting Cinema mit Mon Sisu Satrawaha vom Berliner Kollectiv unTHAItled beschäftigte die Zuschauer:innen tatsächlich mit Essen und mit Film. Ausgehend vom Geschmackserlebnissen beim Verkosten vom vorbereiteten Som Tam schrieben die Teilnehmenden kleine Filmstorys und sahen Filmbeispiele der Gastkünstlerin darüber, wie man durch Essen und das Erzählen darüber Geschichten erfahren und Menschen und Kulturen verstehen kann: Filmisch, handwerklich und geschmacklich horizonterweiternd.

Im Workshop Kimono & Fächer wurde den Teilnehmenden den Aufbau des Kimonos in seinen Grundzügen erklärt und es gab praktische Übungen mit dem japanischen Fächer: Ein raffiniert gearbeitetes Instrument, mit dem man allerlei Tricks und Spiele üben kann, fast wie mit einem Jojo oder einem Bumerang. Die Berliner Tänzerin Yuko Matsuyama war eine bezaubernde Erklärerin. Direkt im Anschluss folgte dauch ihre Performance laut.mal.er.ei. Die beiden Tänzerinnen Yuko Matsuyama und Michal Hirsch wurden dabei auf der dunklen Bühne von zwei Kräften angetrieben: der magischen Geräusch-Musik von Nicolas Schulze (Fender-Piano) und Alexander Beierbach (Saxophones) und von traumhaften Visuals von Ceren Oykut, die den gesamten Bühnenhintergrund mittels Lichtprojektionen mit sich immerfort verwandelnden schwarz-weißen Zeichnungen zum Leben erweckte – ein einzigartiges, gemeinsam geschaffenes Gesamtkunstwerk.

Ins dritte Wochenende startete das Festival mit Mutating Kinship Discourse, einem intensiven Nachmittag im Novillagarten mit asiatischen Künstlerkollektiven Berlins (Soydivison, unTHAItled, apa, damn u.v.a.m.) und einem angeregten Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede marginalisierter Künstler:innen in der Diaspora. Es folgte ein literarisches Konzert – Das Mädchen Kieu: Das vietnamesisches Epos wurde wunderbar gelesen von Christiane Voigt, Dr. Quang führte sachkundig ein, und Prof. Dang Ngoc Longs euro-asiatische Gitarrenkompositionen machten den Vortrag am frühen Samstagabend rund – auch der vietnamesische Botschafter Dr. Vu und seine Frau waren beeindruckt. Den Samstag beendete das vietnamesische Programm Wiegenlied und Drachentanz bei ausverkauften Saal: Ein Konzert der schwebenden Klänge, das Publikum ging begeistert mit. Das Lotus Ensemble um Hung Manh Le, Hoa Phuong Tran, Thanh Thi und Phuong Xuan Dao entführte das Publikum nicht nur musikalisch in den Fernen Osten. In Originaltrachten trugen die in Berlin ansässigen, in Vietnam ausgebildeten Künstler:innen Lieder und Musik aus Nord-, Mittel- und Südvietnam vor.

Das Filmscreening und Gespräch mit der Dokumentarfilmerin Franziska von Stenglin folgte am Sonntagnachmittag: Ein vietnamesischer Sedang auf der Suche nach dem ursprünglichen Leben im Dschungel. Ihr Film „The Dust of Modern life“ ist in jeder Hinsicht ein Abenteuer.  Abends folgte eine Lesung zum Thema Writing China in Berlin, es lasen Geling Yan und ihr Mann und Übersetzer Lawrence Walker aus den erfolgreihen Romanen der Autorin. Gesprochen wurde über die großen Filmerfolge ihrer Drehbücher in den USA und China, über Lebens- und Umwege, aber auch über das Verbot ihrer Werke in China, über das Leben in Berlin und die Entscheidung, auf Englisch zu schreiben. Eine beeindruckende Begegnung mit einer der erfolgreichsten literarischen Stimmen der chinesischen Sprache sowohl in Literatur als auch im Film.

Die letzte Woche des Berlin Asia Arts Festivals begann mit unserem Tag der Berliner Vielfalt am 3. Oktober in der moving poets Novilla. Nach einer erhellenden Runde mit der Künstlerin Tao Hai Yue über asiatische Alltagsgegenstände, die es bei uns nicht gibt, fand das Gespräch mit dem buddhistischen Mönch Tenzin Peljor im Gartenzelt großen Anklang, bis uns der Regen zu Weng Xinyus aufschlussreicher Präsentation über Design als interkulturelle Verständigung ins trockene Haus trieb – wo abschließend die Berlinerinnen Zoncy Heavenly und Ma Thida aus Myanmar bewegende literarische Texte zur Lage in ihrem Heimatland lasen. Abgerundet wurde der Tag durch das Konzert Pan-Asian Sounds mit Ariel W. Orah, Farah Hazim & Wissam und bela. Die Besucher:innen ließen sich von wabernden Electronic-Sounds, prickeligen Rhythmen, flackernden Lichtern und überraschend sirenenhaftem Gesang in den Bann ziehen.

Außer Haus waren wir einen Tag später zum Atelierbesuch bei Veronika Radulovic mit Lưu Bích Ngọc vor Ort im Prenzlauer Berg. Die Teilnehmenden lernten, dass man vietnamesische Lackbilder nicht nur anfassen darf, sondern sogar soll – Glätte und Staubfreiheit kann man nämlich bei ihnen besser mit der Hand als mit irgendetwas sonst herstellen. Auch malt man bei dieser Technik auf Holz und stets auf schwarzem Grund, statt auf Leinwand und Weiß – und keineswegs nur touristische Souvenirs und schönfärberische Parteikunst, sondern eben auch moderne und postmoderne Avantgarde: Eine spannende Geschichte und zugleich der Bericht einer kulturellen Entdeckungsreise in eine andere kulturelle Sphäre.

Ein weiteres Mal durften wir im C*Space bei Katja Hellkötter zu Gast sein, dieses Mal mit Echo Tang und ihren Gästen. Es gab wie immer gute Tees und gute Gespräche: Es ging um die Schwierigkeiten junger Künstler:innen aus Asien, wenn sie nach dem Studium in den Alltag als Freischaffende geworfen werden. Denn zu den üblichen Künstlerproblemen wie Finanzen, Atelierraum, Vernetzung, Informationsbeschaffung, Ausschreibungen etc. kommen weitere Hürden hinzu: heikle Visafragen, Sprachprobleme, unterschiedliche Kunstberufsauffassungen und Versicherungsregeln etwa – und nicht zuletzt die Erwartungen der Familie und der Peers, die stark geprägt sind von asiatischen Werten. Intensive persönliche Schilderungen und interessante Beispiele für künstlerisches Empowerment aus Berlin ließen diesen Abend zu einem intensiven Austausch mit dem interessierten Publikum werden.

Bei hoher Informationsdichte und ungewöhnlichen Perspektiven von Mio Okido zur Anderen Hälfte der Geschichte blieb dem interessierten Publikum am Freitagabend des letzten Festivalwochenendes letztlich zu wenig Zeit, all die großen Fragen zu Ende zu diskutieren, mit denen die Künstlerin alle Zuhörer:innen in ihr wirklich spannendes Thema hineinzog.
Denn ein meditatives und erstaunlich entspannendes Konzert gaben anschließend Meghana aus Pune und ihre Berliner Begleiter:innen im vollbesetzten Weltmusiksalon – wer dabei war, erhielt eine beeindruckende und geradezu anheimelnde Einführung in die vielfältige Welt des klassischen Drupadgesangs.

Bei der Genusslesung mit Yaxin Yang über die „Königin der Bohnen“ präsentierte die Kochbuchautorin und YouTuberin den Teilnehmenden am Samstag mit fröhlicher Expertise die selbstgemachte Herstellung von Sojamilch und Tofu. Währenddessen durften die Teilnehmenden das vorbereitete Essen kosten, staunen und einiges lernen.

BERLINTOKIO/TOKIOBERLIN wurde poetischer Samstagabend mit vier ungewöhnlichen Bühnenkünstlern: Ken Yamamoto & Alexandre Decoupigny vom Berliner Sound-Poesie-Projekt Words & Waves, Slam-Meister Takeo Oshima aus Tokio sowie der Berliner Überraschungsgast-Poet Alexander Delphinov. Neben impressiv-urbanen Texten und atmosphärischen Sounds der Berliner gab es die kraftvollen Phantasien des Tokioters und zum Abschluss eine gemeinsame Aufführung von Oshimas „Leben Gottes“. Überraschungsgast Delphinov beschloss das gehaltvolle Programm mit einem seiner politisch-witzig-sprachgewaltigen Alltagsbetrachtungen.

Die Sonne schien mild am letzten Sonntagnachmittag des Festivals, und die einmalige Ausstellung Present Moments Berlin-Asian Fine Arts konnte zur Finissage noch ein letztes Mal betrachtet werden. Anschließend sahen die Teilnehmenden Umi Maisarohs Tanz-Performance, die mit Sound und Bewegung ihren Gefühlen bei der Ankunft im deutschen Alltag Ausdruck verlieh: Künstler:innen wie Besucher:innen genossen noch einmal die entspannte Atmosphäre des Gartens der Hasselwerderschen Villa am Ufer der Spree.

Das Highlight des Abschlussabends wurde die Band Mitsune: Die Bühne quoll über von Kirsch- und Pflaumenblüten als die vier Musiker in eindrucksvollen Kimonos die Bühne des dicht besetzten Novillasaals betraten … und die kraftvolle Musik der beiden Shamisen-Spielerinnen, der treibende Rhythmus von Percussion und Bass sowie der energetische Gesang der beiden Frontfrauen versetzten das Publikum in Begeisterung, die bis zum Ende des Konzertes nicht abebben wollte. Ja, man kann mit traditionellen japanischen Saiteninstrumenten eine packende heutige Musik machen – Jazz, Rock, Folk, Avantgarde und Tradition schwangen mit in den mitreißenden Stücken der japanisch-australisch-griechischen Band – aus Berlin. Jeder der Musiker bekam ein Solo, alle zeigten, welche Kunstfertigkeiten in ihnen steckten – und zu gucken hatten wir Zuhörer:innen auch einiges, denn Instrumente wie Kostüme dürften in dieser Form wirklich einmalig sein … das Publikum forderte Zugaben ein. Anschließend saßen die Künstler und das Festivalteam noch bis spät in den Abend zusammen, besprachen die gemeinsamen Erlebnisse der letzten drei Wochen und genossen ein indonesisches Buffet zum Ausklang des gelungenen Projekts, für das den vielen Beteiligten und Unterstützern abschließend gedankt wurde – und zu danken bleibt.

Der Berlin Asia Arts Club plant seine Arbeit auch im kommenden Jahr fortzusetzen. Ob es wieder ein Festival geben wird, ist noch unklar, aber neue Veranstaltungen sind in Planung.





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