Japan war schneller. Am vergangenen Freitag hat die japanische Regierung eine neue Nationale Sicherheitsstrategie verabschiedet – etwas, das bei uns noch in Arbeit ist, mit einem ferneren Zeithorizont. Aber ein paar Worte zur vorliegenden Strategie, die sich dem Zusammenspiel der russischen mit der chinesischen Bedrohung Nordostasiens verdankt. Sie ist das Ergebnis eines längerfristigen Denkprozesses über das sich verändernde Bedrohungsumfeld Japans. Dennoch hätte die Kishida-Regierung ohne den Ukraine-Krieg diesen Text nicht verabschieden können – der Krieg hat in der japanischen Öffentlichkeit offenbar einen Wandel in der Bereitschaft zur Unterstützung einer stärkeren Landesverteidigung bewirkt (2% des BSP, wie bei uns!).

Bemerkenswert ist, das wir es mit einer zutiefst wirtschaftspolitischen Strategie zu tun haben. Japan hat eine lange Tradition darin, nationale Strategien durch ein wirtschaftliches Prisma zu betrachten. So beginnt das Dokument beginnt mit einer Erklärung zur Deglobalisierung: Globalisierung und Interdependenz allein könnten kein Garant für Frieden und Entwicklung in der Welt sein, sagte Kishida bereits früher in diesem Jahr.

Bemerkenswert ist ferner, dass die neue Sicherheitsstrategie nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen oder juristischen Debatte über den bekannten Artikel 9 sein soll. Die Strategie besagt, dass Gegenangriffskapazitäten im Rahmen der Verfassung und des Völkerrechts zulässig sind, und beruft sich dabei auf die Auslegung der Verfassung durch die Regierung vom 29. Februar 1956: “Solange anerkannt wird, dass keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, um sich gegen Angriffe mit Lenkraketen usw. zu verteidigen, ist ein Angriff auf Raketenbasen im Rahmen der Selbstverteidigung rechtlich möglich.” Mit anderen Worten: Die Regierung Kishida fordert Kritiker heraus, gegen ihre Analyse des internationalen Sicherheitsumfelds zu argumentieren, anstatt auf verfassungsrechtliche Argumente zurückzugreifen. 

Schließlich sehen wir womöglich erst den Beginn eines langwierigen und komplizierten Prozesses zur Stärkung der japanischen Verteidigungsfähigkeit. “Im Falle einer Invasion Japans”, heißt es, “wird Japan die Hauptverantwortung für deren Bewältigung übernehmen und mit Unterstützung verbündeter Länder seine Verteidigungskapazitäten stärken, um eine Invasion zu verhindern oder abzuwehren.” 

Dafür sind jedoch langfristige und nachhaltige Anstrengungen erforderlich. Das heißt für den beobachtenden Deutschen, dass Japans eigene “Zeitenwende” erst am Anfang steht. Das ist dann wieder ähnlich wie bei uns.

Volker Stanzel





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